Abschied nehmen auf Distanz

Auferstehungskirche
Bildrechte Werner Thiessen

Vorgaben des Ministeriums wegen der Corona-Krise erschweren die Arbeit von Pfarrern und Bestattern – Wichtiger Teil der Trauerarbeit fällt oft weg

Auch beim Abschiednehmen ist aktuell oberstes Gebot: Abstand halten. Nicht einfach, gerade dann, wenn eine Umarmung oft mehr hilft als warme Worte. Was bedeutet das für Hinterbliebene, Pfarrer und Bestattungsunternehmen?

"Bedrückend." So beschreibt Pfarrer Thomas Lichteneber, wie er Beerdigungen gerade erlebt. Abschied nehmen auf Abstand, mit – bis vor kurzem – nur wenigen Gästen und ohne Musik. Darunter leide auch er als Geistlicher, gibt Lichteneber zu. "Der Trost liegt ja gerade in der Gemeinschaft, im Gespräch und in der Interaktion", so der Pfarrer der Hersbrucker Stadtkirchengemeinde.

Einen großen Einfluss hätten die Kontaktbeschränkungen auch auf die Trauerbewältigung: Die Kondolenz am Grab, der Händedruck, die Umarmung – vieles, was sonst Trost spende, fällt jetzt weg. Bis vor wenigen Tagen durften Beerdigungen nur im Freien, direkt am Grab stattfinden und maximal 15 Leute anwesend sein (seit 13. Mai gelten neue Bestimmungen, siehe Abschnitt unten), Live-Musik ist nicht erlaubt. "Eine CD ist kein Ersatz für den Posaunenchor oder die Orgel", weiß Lichteneber.

Verschiedene Reaktionen

Obwohl es die meisten Hinterbliebenen bedauerten, nicht die gesamte Verwandtschaft bei der Beerdigung um sich haben zu können, gebeesauchLeute,deneneine Beisetzung im engsten Familienkreis ganz recht sei. "Das hat mich selbst überrascht", sagt der Pfarrer. Sie fänden es angenehm, wenn der Friedhof nicht von Leuten überfüllt sei und die Lebensgeschichte des Verstorbenen nicht zu sehr nach außen getragen werde. Das führe auch dazu, dass die Biografie bei der Beerdigung kürzer ausfalle – weil die engsten Verwandten sie sowieso schon kennen würden.

Die strenge Regelung der Gästeanzahl habe auch schon dazu geführt, dass sich Leute hinter der Friedhofsmauer oder einem Zaun sammelten, um mit großer Distanz bei der Beerdigung dabei zu sein. "Für sie kann ich aber keine Verantwortung übernehmen", sagt Lichteneber in Hinblick auf zum Beispiel das Abstand-Halten. Von der Möglichkeit, die Trauerrede oder die komplette Beisetzung auf Video aufzuzeichnen, damit weitere Familienmitglieder dabei sein können, hält der Hersbrucker Pfarrer nicht viel: Denn auch,wenn versichert werde, dass ein Video nur für die Verwandtschaft bestimmt sei, könne man nie ganz sicher gehen, ob es nicht doch irgendwann im Internet lande. "Da sehe ich meine Persönlichkeitsrechte verletzt", sagt er und spricht von einer "gebrochenen Gemeinschaft", denn private Erlebnisse des Verstorbenen gehörten nicht ins Netz.

Trotz allem hält Lichteneber die Einschränkungen für absolut notwendig: "Es geht um den Schutz von Leben." Für ihn ist es nur gerechtfertigt, dass sich die Kirche an dieselben Vorgaben halten muss wie andere Bereiche. Was allerdings Probleme bereite, sei die sich ständig ändernde Informationslage. Die Kirchengemeinden bekommen alle Updates zu Neuerungen oder Lockerungen über das Dekanat mitgeteilt, das wiederum in Kontakt mit dem Gesundheitsamt steht. "So gibt es eine Linie, an die sich alle halten, und es muss nicht jeder selbst bei der Behörde anrufen", erklärt der Pfarrer. Weil sich die Regeln aber oft kurzfristig ändern, komme es nicht selten zu Verwirrung und Kommunikationsproblemen bei Geistlichen und Hinterbliebenen.

Kurzfristige Ansagen

So kam die Ansage aus dem Gesundheitsministerium, dass bei Trauerfeiern im Freien ab sofort wieder 50 Gäste erlaubt sind, sehr kurzfristig. "Viele von uns haben das zuerst aus der Zeitung erfahren", sagt Dekan Tobias Schäfer. Er vermutet als Auslöser für die Entscheidung die Diskrepanz zwischen der Regelung für Beerdigungen, für die bisher immer die Allgemeinverfügung galt, und den Gottesdiensten, für die die Kirchengemeinden ein Hygienekonzept vorlegen mussten. Zudem waren bei Gottesdiensten im Freien bis zu 50 Personen erlaubt, bei Beisetzungen aber nur 15.

Was auf den ersten Blick wie eine Lockerung klingt und auch die Hinterbliebenen freuen wird, bedeutet für die Verantwortlichen mehr Organisationsarbeit: "Wer kümmert sich darum, dass jetzt nicht nur 15 sondern 50 Leute den Mindestabstand einhalten? Und wer weist die Leute am Friedhofstor zurück, sobald mehr kommen wollen?", so Schäfer.

Zwar mache die neue Regelung es nun auch wieder möglich, bei einer Beisetzung den Gang in die Kirche und im Anschluss ans Grab zu kombinieren. Aber auch hier gelte es wieder, die Plätze im Gebäude anhand der Vorschriften zu organisieren und ein Konzept zu erstellen, sagt der Dekan. Einige Friedhofshallen könnten zudem unter Einhaltung der Abstandsregeln keine 50 Personen aufnehmen. "Wer regelt dann, wer rein darf und wer nicht? Ganz wichtig ist da eine gute Kommunikation zwischen Pfarrer, Bestatter und Hinterbliebenen", macht Schäfer deutlich.

Generell werde versucht, eine Trauerfeier so nah wie möglich am "Original" zu orientieren, liturgisch ändere sich außer der verkürzten Zeit nicht viel. "Wir können dankbar sein, dass wir überhaupt Gottesdienste und Trauerfeiern abhalten dürfen, denn größere Veranstaltungen sind ja verboten", sagt der Dekan.

Auch dieArbeit der Bestatter hat sich mit der Corona-Krise verändert. Was Bestatterin Cornelia Pfister dabei am meisten bedauert, ist, dass das Abschiednehmen bei vielen einfach wegfällt. Verstorbene, die an Covid-19 erkrankt waren, dürfen nach Vorgabe des Ministeriums nicht behandelt werden – das heißt, Waschen, Frisieren oder Umkleiden ist verboten. Der Verstorbene sei "unverzüglich in ein mit einem geeigneten Desinfektionsmittel getränktes Tuch (...) einzuhüllen und einzusargen", heißt es in einem Informationsblatt des Bayerischen Gesundheitsministeriums. Demnach ist auch ein Verabschieden am offenen Sarg nicht möglich.

Hohe Hygienestandards

Denn auch ein Verstorbener kann noch Krankheiten übertrage, weiß Pfister: "Durch austretende Körperflüssigkeiten, beispielsweise, wenn man die Person dreht, kann eine Infektion stattfinden." Den Bestattern sei das allerdings nicht neu. "Wir hatten schon immer hohe Hygienestandards, jetzt schützen wir uns zusätzlich mit FFP2-Masken und Schutzbrillen", sagt sie.

Bei Corona-Toten sei zu Beginn außerdem die Vorgabe gewesen, dass die Kliniken sie in einem Leichensack an den Bestatter übergeben sollten. "Einige Krankenhäuser sind aber dazu übergegangen, dass wir die Verstorbenen aus dem Kühlhaus abholen und sie dann einsargen. Man muss ja bedenken, dass keine Verwesung stattfinden kann, wenn ein Toter ineinem Plastiksack beerdigt wird. Außerdem darf man dieWürdedes Menschen nicht vergessen", erklärt Pfister. Sie selbst habe allerdings noch keinen Fall gehabt, bei dem ein Verstorbener mit Corona infiziert war und in der Erde beigesetzt werden sollte.

Viel schwieriger sei es aber, das Abschiednehmen zu handhaben. Denn sowohl auf der Intensivstation als auch nach dem Tod dürfen Angehörige einen Coronainfizierten nicht sehen. "Damit fällt ein großer und wichtiger Teil der Trauerarbeit weg. Den Toten noch mal zu sehen hilft, sich der Situation richtig bewusst zu werden. Und das kann man nicht nachholen", weiß Pfister. Generell laute die Empfehlung, die Verstorbenen nicht aufzubahren. In ihrer Arbeit hätten die Familien bisher "zum Glück" immer die Möglichkeit gehabt, sich vorher verabschieden zu können. Aber wer weiß, was noch kommt? "Das wäre tragisch", sagt sie.

"Es sollte noch mal darüber nachgedacht werden, wie das gelockert werden kann. Man kann sich ja schützen. Früher wurden Tote zum Beispiel immer hinter Glas aufgebahrt, vielleicht könnte man dahin zurückkehren", meint Pfister. Generell, so wisse sie von einigen Kollegen, seien die meisten der Meinung, dass die Maßnahmen zu übertrieben seien.

Eine andere Erinnerung

Um dennoch einen Abschied in Würde zu gestalten, habe das Bestattungsunternehmen andere Erinnerungsmöglichkeiten geschaffen. Eine Erinnerungsbox mit einer Kerze, Stift und Papier für persönliche Gedanken, Blumenzwiebeln und einem Band, von dem ein Teil beim Verstorbenen und einer bei den Hinterbliebenen bleibt, soll zum Beispiel bei der Trauerarbeit helfen.

Dass nun wieder mehr Personen an einer Trauerfeier teilnehmen dürfen, stellt auch dieBestatter vor neue Herausforderungen. "Wir messen die Hallen aus, um zu wissen, wie viele Leute mit zwei Meter Abstand darin Platz finden. Außerdem wollen wir im Außenbereich Karten verteilen, um zu gewährleisten, dass nicht mehr als 50 Leute dabei sind", erklärt Pfister.

Auch sie habe schon beide Seiten erlebt: Solche, die gerne mehr Personen eingeladen hätten, und solche, die froh um eine Feier im engsten Familienkreis waren. "Dadurch konnten sie eine öffentliche Bestattung, die sie sonst vielleicht nur aus irgendeiner gesellschaftlichen Verantwortung heraus gemacht hätten, umgehen." Einige Urnenbestattungen wurden auf Wunsch nach hinten verschoben.

Durch das alles sei ihre Arbeit "sehr eingeschränkt", sagt Pfister. Froh ist sie aber, dass Deutschland nicht dasselbe wie zum Beispiel Italien durchmachen musste. "Wir hatten am Anfang unheimlich Angst, als wir die Bilder im Fernsehen gesehen haben. Wir wurden vom Bestattungsverband gefragt, welche Kapazitäten wir haben. Zum Glück ist es so nicht eingetreten."

Copyright (c) 2020 Verlag Nürnberger Presse, Ausgabe 19.05.2020

Vorgaben bei Trauerfeiern

  • Wie viele Personen in Gebäuden erlaubt sind, kommt auf die Anzahl der vorhandenen Plätze an, bei denen ein Mindestabstand von zwei Metern gewahrt wird.
  • In Gebäuden besteht Maskenpflicht.
  • Im Freien beträgt die Höchstteilnehmerzahl 50 Personen, der Mindestabstand beläuft sich auf 1,5 Meter.Das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung wird empfohlen. In jedem Fall ist Folgendes zu beachten:
  • Der Bestattungstermin darf nicht in der Presse oder in sonstiger Weise bekannt gemacht werden.
  • Mikrofone dürfen lediglich von einer Person benutzt und müssen anschließend desinfiziert werden.
  • Erdwurf und Weihwassergaben am offenen Grab sowie am aufgebahrten Sarg sollte möglichst nur eine Person durchführen; wenn eine weitere Person die berührten Gegenstände nutzen will müssen diese desinfiziert werden.
  • Die Türen zu Friedhof, Leichenhaus und Trauerhalle sollen während der gesamten Beerdigung geöffnet bleiben, um ein Anfassen der Türen durch die Trauernden zu vermeiden.
  • Soweit die Möglichkeit besteht, sollte ein (kontaktloser) Handdesinfektionsmittelspender sichtbar aufgestellt werden.

Quelle: Bayer. Staatsministerium für Gesundheit und Pflege