Während die Gruppe Sheynhoven die Spitalkirche mit eindringlichen Klezmer-Klängen erfüllt, zählen Mädchen und Jungen der Dekanatsjugend langsam Namen auf: Wilhelm Roninson, Tobiasz Apfelstein, Abraham Dichtwald, Salamon Festinger und viele mehr. Beim Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus standen heuer die jüdischen Insassen des KZ-Außenlagers Hersbruck im Blickpunkt.
Wie schon seit Jahren hatten der Dokuverein, alle Hersbrucker Kirchen und die Stadt zu der Veranstaltung am Jahrestag der Befreiung von Auschwitz eingeladen. Als Ehrengäste begrüßte Klaus Wiedemann in der vollbesetzten Spitalkirche Alberto und Marco Bocchetta aus Sardinien, Neffe und Großneffe des letzten noch lebenden Überlebenden des Nazi-Rüstungsprojekts Doggerwerk, Vittore Bocchetta.
Hersbruck war kein spezieller Vernichtungsort für Juden. Sie standen in der Hierarchie an unterster Stelle. Ihr Anteil an den Inhaftierten wird auf ein Zehntel bis zu einem Drittel geschätzt, berichtete Thomas Wrensch vom Dokuverein und sagte im gleichen Atemzug: "Es geht aber auch nicht um Zahlen, sondern um jeden einzelnen (der insgesamt an die 9000) Menschen im Lager." Er zitierte Aussagen des Ungarn Shlomo Lavi, der das Antreten der Leichenträger jeden Morgen um 4 Uhr und ihre grausam-erschütternde Aufgabe bei einem Rundgang durch die Baracken geschildert hat.
Im Mittelpunkt standen Aufzeichnungen von Szmuel Laitner. Der Pole kam 1941 in das KZ Groß Rosen. Als dierussische Armee anrückte, brachten die Nazis den 20Jährigen nach Hersbruck. Er schreibt: "Wir wurden wie Vieh auf Waggons geladen. Wir wurden mit Schlägen hineingepresst. Dann fielen die Türen hinter uns zu." Szmuel Laitner überstand den Transport, die Zeit im Außenlager und den Todesmarsch von Hersbruck über Lauterhofen nach Dachau. Nach dem Krieg zog er in einen israelischen Kibbuz.
Pfarrer Wunnibald Forster warf in der Predigt einen Blick zurück in die Geschichte. "Orte, Namen, Synagogen, Friedhöfe zeugen vom Judentum in Deutschland in der Vergangenheit und Gegenwart", sagte er. Dennoch war das Verhältnis zum Christentum von Anfang an nicht spannungsfrei. Einer der Kirchenväter prägte den schon von Paulus benutzten Begriff der "Gottesmörder". Es gab schon im Mittelalter Pogrome, Vertreibungen und Schmähschriften.
"Judentum und Christentum verhalten sich wie Mutter und Tochter", zog der katholische Geistliche einen Vergleich. Quer durch alle Konfessionen habe während der NS-Diktatur die deutsche Christenheit versagt. "Die Tochter hat die Mutter in der größten Not im Stich gelassen", beklagte Wunnibald Forster. "Die Juden wurden des Namens beraubt, zur Nummer abgestuft, wie Schlachtvieh verfrachtet, in Öfen verbrannt." Wie zuvor schon Klaus Wiedemann warnte der Priester vor einem Wiedererstarken des Judenhasses. Beispiele seien der Auftritt der AfD im Bayerischen Landtag bei der Rede von Charlotte Knobloch ebenso wie der wieder notwendig gewordene Schutz für Synagogen. "Wer Christ ist, kann kein Antisemit sein", zitierte Wunnibald Forster Papst Franziskus.
Die Fürbitten zu Themen wie Rechtsruck, Flüchtlinge, Verbundenheit und Artensterben trugen Stadtrat Jürgen Amann, Landrat Armin Kroder, Erzpriester Apostolos Malamoussis (orthodoxe Kirche) und Polizeichef Hans Meixner vor. Eingebettet waren die Redebeiträge in Orgelklänge und Klezmerlieder. "Wir lassen Musik zu, dann reicht sie ins Herz", sagte Wolfgang Grasser vom Quartett Sheynhoven. "Herr, führe uns vom Hass zur Liebe", bat Pastor Wolfgang Rieker zum Abschluss.
Nach dem Gottesdienst machten sich über 100 Teilnehmer auf den Schweigeweg von der Spitalkirche über die Amberger Straße zur Bocchetta- Skulptur "Ohne Namen" im Rosengarten. Viele trugen brennende Kerzen, die Glocken der katholischen Kirche läuteten.
Am Ziel las Thomas Wrensch aus den Texten des Hersbrucker KZ-Überlebenden Bernhard Teitelbaum vor. Der hat das Leben im KZAußenlagersachlich- nüchternund deshalb umso eindringlicher beschrieben: der Kampf um das Essen, die unmenschlichen Unterkünfte, den Stellenwert der Insassen im Vergleich zu den Hunden, Weihnachten 1944, aber auch kleine Lichtblicke wie geschenkte Kartoffeln von Hersbruckern. Ein gesungenes "Dona nobis Pacem" bildete den würdigen Abschluss des Gedenkens.
Jürgen Ruppert
Copyright (c) 2019 Verlag Nürnberger Presse, Ausgabe 29.01.2019