„Raum der Stille“ bot Menschen aus der gesamten Region in Hersbruck einen Zugang zur Gregorianik - Experte beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit dieser Musik
HERSBRUCK – Was bringt Menschen dazu, 1000 Jahre alte Lieder von Mönchen und Nonnen zu singen, mit ungewohnten Melodien und Rhythmen und meist noch auf Lateinisch? In Hersbruck bestand die Möglichkeit dazu, der „Raum der Stille“ lud ein. 20 Teilnehmer aus der gesamten Region ließen sich von der Spiritualität dieser Gesangsform begeistern. So erklangen Marienlieder in der evangelischen Stadtkirche.
„Gregorianisches Singen in alten fränkischen Kirchen“ lautete der Titel dieses außergewöhnlichen Gesangserlebnisses. Diese Gelegenheit zog Neugierige an und auch „alte Hasen“.
Vor der Praxis stand noch ein klein wenig Theorie: Unter fachkundiger Leitung des ehemaligen Pfarrers und Gregorianik-Experten Weking Welzer erfuhren die Teilnehmer von der langen Tradition dieser alten Musikform, die nach Papst Gregor dem Großen (um 600) benannt wurde. Der gregorianische Choral gilt somit als die älteste schriftlich überlieferte Musik West- und Mitteleuropas.
Singen im Wechsel
Als Meditationsform entwickelte sich das so genannte wechselchörige Singen, wobei sich die Sänger der rechten und die der linken Seite im Chorgestühl gegenseitig ergänzen, nur unterbrochen durch eine kurze Pause zum Atem holen, die auf dem Notenblatt als Sternchen („Asteriskus“) dargestellt wird.
Der 78-jährige Welzer, der sich seit über 30 Jahren mit Gregorianik in Theorie und Praxis beschäftigt, verstand es, kurzweilig und begeisternd den Teilnehmern die Geheimnisse der Gregorianik nahe zu bringen. Dabei helfen die sogenannten „Winke“, auch Neumen genannt, wobei der Leiter entsprechende Handzeichen gibt, um dem Chor Tonhöhe und Rhythmus vorzugeben.
Neben gesungenen Psalmen, dem Kyrie und dem Vaterunser wurden auch Teile der berühmten Choralmesse „Missa Mundi“ (deutsch: „Auf der ganzen Welt verbreitet“) gesungen. Dass die Teilnehmer am Ende des Stücks manchmal „im Keller ankamen“, tat der guten Stimmung keinen Abbruch.
„Der Mensch ist von Natur aus am Morgen tiefer gestimmt, als am Abend“, klärte Welzer auf und schlägt auf seinem mitgebrachten bunten Glockenspiel den richtigen Ton an. Schließlich war der Gregorianik-Tag auch für Einsteiger geeignet, da besondere stimmliche und musikalische Fähigkeiten nicht vorausgesetzt waren.
Näher an Gott
Viele Menschen haben die Gregorianik in ihr Herz geschlossen. So bricht auch Benediktiner-Pater Anselm Grün eine Lanze für die Gregorianik, wenn er sagt: „Im gregorianischen Singen geschieht Beziehung zu Gott. Ich brauche nicht daran zu glauben, dass Gott mir nahe ist. Im Singen geschieht dieser Glaube, in den gesungenen Worten wird Gott selbst erfahrbar.“ Seinen Höhepunkt fand der Tag schließlich im Chorraum der Hersbrucker Stadtkirche, die bis ins 16. Jahrhundert hinein viele Marienlieder gehört hatte. Das gesungene Stundengebet nach der Regel des Heiligen Benedikt „ora et labora“ (bete und arbeite) machte der Gruppe bewusst, dass schon damals der Arbeitswahn in Frage gestellt und übertriebenem Leistungsprinzip ein Riegel vorgeschoben wurde. Mit einer Lichterzeremonie „Illumina oculos meos, domine“ (Erleuchte meine Augen, oh Herr) und dem gesungenen Stundengebet ging der Gregorianik-Tag eindrucksvoll zu Ende.
Wer Lust auf gregorianisches Singen: In der Laufer Kunigundenkirche wird zudem seit Jahren jeden Montag von 19 bis 19.30 Uhr die „Vesper“ gesungen. Jeder ist hierzu eingeladen. BERND DECKER
Bild oben: Weking Welzer (rechts mit erhobener Hand) leitete die Teilnehmer des Kurses im Singen gregorianischer Lieder an. Geübt wurde in „Peter's Scheune“, Höhepunkt war das Singen im Chorraum der Stadtkirche. Foto: B. Decker
Copyright (c)2018 Verlag Nuernberger Presse, Hersbrucker Zeitung, Ausgabe 07/03/2018