Karl-Heinz Röhlin referierte im Männerkreis der Stadtkirchengemeinde über Viktor Frankls Ansatz
Es hätte ein tief ernster Abend werden können: Karl-Heinz Röhlin, Regionalbischof im "Unruhestand", wie ihn Dietrich Kappler begrüßte, hatte einen Abend zum Wirken des Psychotherapeuten Viktor Frankl vorbereitet. Dieser hatte den Aufenthalt in drei Konzentrationslagern überlebt, dort aber Mitglieder seines engsten Familienkreises verloren. Röhlin, in Hersbruck mit der "Fränggischen Weihnacht" samt seiner Frau Ruth schon mehrfach zu Gast, wollte jedoch nicht zu viel Trübsal blasen, zumal Frankls Botschaft eine hoffnungsvolle ist. Mit Humor, Bescheidenheit und fränkischen Einwürfen brach er einen komplizierten Sachverhalt für sein Publikum herunter – ohne an Tiefe zu verlieren.
Nicht wenige Frauen hatten an diesem Abend den Weg in den "Männerkreis" gefunden. Die Frage nach dem "Sinn des Lebens" trifft wohl wie zu allen Zeiten einen Nerv. Doch hier griff Karl-Heinz Röhlin gleich korrigierend ein: es geht nicht um den Sinn DES Lebens sondern um den Sinn IM Leben. Und der sei nicht allgemein zu beantworten, sondern eng an die einzelne Person und ihre Situation gebunden. Und – bis auf die Ausnahme von Schicksalsschlägen, die so schwer sind, dass der Sinn verdunkelt ist – bietet das Leben Sinn unter allen Umständen.
Karl-Heinz Röhlin, der bei Viktor Frankl eine Ausbildung zum Logotherapeuten absolviert hat, zitierte den in der ganzen Welt hoch anerkannten Therapeuten Frankl so: "Der Mensch ist bedingt, aber nicht bestimmt!" Die drei "Hauptstraßen" zum sinnerfüllten Leben beschrieb Röhlin nach Frankl als Erlebniswerte, Schaffenswerte und Einstellungswerte: im intensiven Erleben, etwa von Natur, Musik oder Gemeinschaft kann ebenso Sinn erlebt werden wie im aktiven Schaffen, auch der unterstützenden Zuwendung zum Anderen. Einstellungswerte kommen zum Tragen, wenn – etwa durch eine schwere Erkrankung – die ersten beiden Wege versperrt sind. Dann kann die innere Haltung bestimmen, ob Leben als sinnvoll empfunden wird und wie wir das Unabänderliche ertragen. Kaum ein anderer Therapeut konnte diese Thesen so wie Viktor Frankl durch seine Verquickung von Lebensgeschichte und Therapiestil untermauern. Lebendig wurde dieser Therapiestil, als Karl-Heinz Röhlin und Dietrich Kappler mit verteilten Rollen aus den Notizen einer Therapiesitzung vorlasen. Dabei wurde deutlich: Frankl macht keine Aussagen, sondern stellt Fragen, die den Patienten auf die Spur seiner eigenen Werte setzen, denn: "Der Wille zum Sinn ist die primäre Motivation des geistigen Menschen!"
Für Sinnfindung und Wertverwirklichung ist der freie Wille Voraussetzung. Hier unterschied sich Frankl deutlich von den Theorien seiner Kollegen Sigmund Freud und Alfred Adler, die den Menschen eher als festgelegt von seinen Trieben, seinen Minderwertigkeitsgefühlen und seinem Machtstreben einstuften.
Gelten Selbstbestimmung und Wahlfreiheit statt Reduktionismus und Determinismus, dann ist die Verantwortlichkeit gefragt. Viktor Frankl, der in den Vereinigten Staaten großes Renommee genoss, ging so weit, der Freiheitsstatue in New York, an der Ostküste Nordamerikas, eine Verantwortungsstatue an der Westküste zur Seite zu stellen. Diesen Traum soll, getragen von einer Initiative und vielen Spendern, 2023 verwirklicht werden.
Auch dem Leiden ist Sinn abzuringen, diese stärkende Botschaft gab Röhlin den fast 40 Zuhörern mit auf den Weg. Seine Frau Ruth stärkte die Aussagen am Klavier mit der melancholischen, aber von Hoffnung erfüllten Simon-and-Garfunkel-Ballade "Bridge Over Troubled Water" und dem beliebten "Beerdigungsschlager" "I did it my way" – "Ich hab´s auf meine Art getan" von Frank Sinatra.
Auch wenn Frankl selbst das Jenseits nicht in seine logotherapeutischen Interventionen einbezog, passen seine Botschaften in eine Kirchengemeinde: "Die Existenzanalyse", so Frankl, "hat sich zur Aufgabe gemacht, das Zimmer der Immanenz so einzurichten, dass dabei die Tür zur Transzendenz offen bleibt."
Copyright (c) 2022 Verlag Nürnberger Presse, Ausgabe 03.02.2022