Mut zur Lücke - geistliche Gedanken

Lichteneber
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Dietrich Bonhoeffer hat bemerkenswerte Gedanken in einem Brief an Renate und Eberhard Bethge aus dem Gefängnis in Berlin Tegel (Heiligabend 1943) niedergeschrieben. Es geht um individuelle Trauer und um Abschiednehmen: „Zunächst: es gibt nichts, was uns die Abwesenheit eines lieben Menschen ersetzen kann, und man soll das auch gar nicht versuchen; man muss es einfach aushalten und durchhalten; das klingt zunächst sehr hart, aber es ist doch zugleich ein großer Trost; denn indem die Lücke wirklich unausgefüllt bleibt, bleibt man durch sie miteinander verbunden. Es ist verkehrt, wenn man sagt, Gott füllt die Lücke aus; er füllt sie gar nicht aus, sondern er hält sie vielmehr gerade unausgefüllt, und hilft uns dadurch, unsere echte Gemeinschaft miteinander – wenn auch unter Schmerzen – zu bewahren.“

Aufgrund der aktuellen Corona-Situation behaupte ich nun, dass wir uns in einer kollektiven Trauerphase befinden. Wir müssen uns verabschieden von liebgewordenen Gewohnheiten. Herkömmliche Muster tragen nicht mehr. Vieles bricht weg und muss neu sortiert werden. Ich bin davon überzeugt: Wir befinden uns in einem Übergang und es entstehen erst einmal gewaltige „Lücken“.

Man könnte also die Gedanken Bonhoeffers umformulieren, bzw. den ersten Halbsatz weglassen: „Man muss die Lücke einfach aushalten und durchhalten …“

Die geistliche Herausforderung könnte momentan darin liegen, die Lücke im Sinne von Dietrich Bonhoeffer auszuhalten und sich der eigenen Trauer zu stellen. Also nicht vorschnell versuchen, die Lücke aufzufüllen. Die Stille und die Leere durchhalten. Das Interessante ist ja, dass eine Lücke grundsätzlich erst einmal mit etwas Negativem verbunden ist. Viele meinen: „Die Lücke ist defizitär und muss möglichst schnell überwunden werden.“ Die Botschaft – gerade auch in der Passionszeit – könnte jedoch lauten: Halte die Lücke und den Stillstand aus!

Ich bin davon überzeugt, dass wir noch Zeit brauchen. Zeit, um die Situation geistlich zu verarbeiten. Zeit, uns zu besinnen. Zeit für das persönliche Gebet. Zeit um loszulassen und uns auf die neue Situation einzustellen. Im Gebet an die Menschen denken, die jetzt einsam und krank sind. Menschen, die um ihre wirtschaftliche Existenz bangen. Gedanken des Lichts für die, die im Sterben liegen und für die Angehörigen, die oftmals nicht richtig Abschied nehmen können.

Wir sind in unserer Angst und Zerbrechlichkeit gerade auch über die unausgefüllte Lücke miteinander verbunden – im Gebet und in der Zuversicht, dass nach der Passionszeit Ostern kommt. Das letzte Wort hat nicht das Kreuz und die Dunkelheit, sondern die Auferstehung und das Licht. Das gibt Kraft und Zuversicht.

Pfarrer Thomas Lichteneber, Hersbruck, 26. März 2020