Orgelfrühling im Dekanat Hersbruck: Besonderes Bach-Konzert mit dem Dresdner Kantor in der Stadtkirche
Weingläser auf den Kirchenbänken, ein Hauch von Christmette-Atmosphäre: "Ein bisschen verrückt darf man auch mal sein", meinte Dekan Tobias Schäfer. Und genau das kam bei den vielen Besuchern bestens an.
Die sorgten für eine festlich-gelöste Stimmung in der Hersbrucker Stadtkirche. Angelockt hatte sie "Bach vor Mitternacht" mit Weinprobe von "Feine Weine". "Eine Weinprobe in der Kirche, dürfen wir das?", hatten sich Elke Kühner-Schwarz und Bernhard Schwarz gefragt. Doch für Dekan und Kirchenvorstand kein Problem. Im Gegenteil: "Wir gönnen uns heute eine Auszeit von der Fastenzeit und der Welt und einen besonderen Abend", erklärte Schäfer zur Begrüßung.
Aus dem Kühlschrank in der Sakristei bekam nicht nur das Publikum sein Weinchen, sondern auch Dekan und Kantor Matthias Grünert. Als Letzterer mit seinem Glas hoch zur Orgel schritt, sagte er: "Das ist doch gleich ein ganz anderes Gefühl." Und dieses besondere Flair zog sich durch den ganzen Abend – vielleicht verrückt, aber absolut wohltuend: "Genau so will ich das", betonte Grünert.
Bevor er die Orgel zum Beben brachte, gaben Schwarz und seine Frau erhellende Infos zu den drei fruchtigen, fränkischen Weißweinen sowie deren Weingütern. Da erfuhren die interessierten Zuhörer, wie aus blauen Trauben ein weißer Tropfen wird, dass der Bacchus eine typisch fränkische Rebsorte ist und ein Silvaner einen Geschmack nach Heu in sich trägt.
Die Gläser klirrten und auch Dekan und Kantor stießen noch schnell an. Grünert rückte sich die Brille zurecht und schon standen die Orgelpfeifen für Praeludium und Fuge Es-Dur von Johann Sebastian Bach (1685-1750) in vollem Saft. Grünert zauberte dem Instrument erhabene Klänge hervor, die zugleich erfrischend wie der Wein erschienen.
Schnelle Tonfolgen formten dramatischere Passagen, bei denen die Töne dennoch vor sich hinperlten. Faszinierend fürs Gehör waren die Vielfalt der Klänge und der dunkle Hintergrund-Sound, der dem Stück Tiefe verlieh.
Konzentriert dabei war hier Dekan Schäfer als Blätterer: Ein kurzes Nicken von Grünert und fix schlug er die Seite um. Auch im zweiten Abschnitt, der sich ab und an cembalohaft, zart und springend zeigte, um dann wieder Fahrt aufzunehmen in einen wahren Höhenrausch. Und dann Stille: Denn das von dem Stück eingenommene Publikum brauchte einen Moment, bis es applaudieren konnte. Gut 20 Minuten Dauereinsatz lagen hinter Dekan und Kantor. Schäfer war beim Blättern schon ins Schwitzen gekommen, verriet er lachend. Und Grünert? Der eilte total entspannt für eine Verbeugung in den Altarraum – und für Wein Nummer zwei.
Düster bis wohltuend
Den genossen dann alle zu verschiedenen Choralbearbeitungen aus der Schübler-Sammlung. Diese starteten mit einem beschwingten und sich wiederholenden Thema, wobei mollartige Dissonanzen die Fröhlichkeit kontrastierten. Grünert entlockte dem Instrument in den sechs Stücken eine große Bandbreite – von melancholisch über dumpf, düster, reduziert bis hin zu exotisch, wohltuend und fließend. Und dazu passte auch die jeweils kurze angenehme, erwartungsfrohe Stille zwischen den Chorälen.
Wem bislang noch nichts bekannt vorkam, mit Toccata und Fuge in d-moll hatte Grünert noch das wohl bekannteste Bach-Stück dabei. Mächtig ging das los. Die Klangwelle zum Auftakt durchflutete das gesamte Kirchenschiff, brauste förmlich durch es hindurch. Mühelos wechselte Grünert zum spitzen Stakkato. Über die Anmutung eines Glockenspiels trieb er Komposition und Orgel bis zum vollklingenden Finale.
Eingehüllt in das Stück und das dunkle Gotteshaus legte sich ein magisches Gefühl über das Kircheninnere. Diese Magie drückte das begeisterte Publikum in einem langen Applaus aus. Mit einem Schluss-Prost bedankte sich auch Matthias Grünert für den besonderen Abend: "Sie haben mir Freude ins Herz geklatscht." Und er hat genau das den Menschen ins Herz gespielt.
Copyright (c) 2022 Verlag Nürnberger Presse, Ausgabe 04.04.2022