Gemeinsam gedachten zahlreiche Menschen der Opfer des Nationalsozialismus und zogen schweigend zum Bocchetta-Mahnmal
Es schien, als würde sogar der Himmel weinen: Schweigend, nur begleitet vom Läuten der Kirchenglocken, zog unter stetigem Nieselregen und mit brennenden Kerzen ein Schweigemarsch die Amberger Straße entlang. Am 75. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz wurde mit dem Lichterzug der Opfer des Nationalsozialismus gedacht.
Dem vorangegangen war ein ökumenischer Gottesdienst in der Spitalkirche zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. "Seid wachsam" hatten die Gemeinden als Titel in den Mittelpunkt gestellt. Zum Einstieg spielte Norbert Gawor die Melodie des Lieds "Bella Ciao" an, das später noch eine Rolle spielen sollte. Von der Empore aus wurden die Namen von Häftlingen des KZ Hersbruck vorgelesen.
Danach begrüßte der Vorsitzende des Vereins Dokumentationsstätte Konzentrationslager Hersbruck, Thomas Wrensch, die Besucher des Gottesdienstes, darunter Hersbrucks Bürgermeister Robert Ilg, Landrat Armin Kroder und Landtagsabgeordneter Norbert Dünkel. Von Vertretern der evangelisch-lutherischen Stadtkirche und des Dekanats, der katholischen, evangelisch-methodistischen, griechisch-orthodoxen, freikirchlichen Gemeinde, der neuapostolischen Kirche und der evangelischen Jugend von Stadt- und Johanneskirche war der Gottesdienst gemeinsam vorbereitet worden. Liturgisch eröffnete Wolfgang Rieker, Pastor der evangelisch- methodistischen Gemeinde, den Gedenkgottesdienst mit Worten aus dem Buch Salomo. Wachsam waren die Bewohner Veronas in der Zeit des Nationalsozialismus. Doch ihr Widerstand gegen den Faschismus und die Unmenschlichkeit, die mit Mussolini und später mit dem Einmarsch des deutschen Militärs Einzug in Italien hielt, brachte unter anderem Vittore Bocchetta erst ins Gefängnis und dann über das KZ Flossenbürg in dessen Außenlager Hersbruck.
Auch Schüler des PPG hatten sich Gedanken zu Verona gemacht. Sie nannten Begriffe wie "Freude", "Sonne" und "Gemeinschaft", verbunden mit ihrer Fahrt dorthin im Juni. Aber es bewegte sie noch mehr: "Wir werden lachen und weinen", so die Jugendlichen, denn neben dem heutigen Verona wird die Beschäftigung mit dem Holocaust und die Besichtigung des KZ-Durchgangslagers Bozen Thema ihrer Reise sein.
Vergebliche Hoffnung
Hatten die Menschen in Verona auf Frieden gehofft, als Mussolini im Juli 1943 gestürzt wurde, so wurden sie enttäuscht. Aus mehreren Aktionsparteien gründete sich am 9. November ein "Komitee zur nationalen Befreiung", das in Italien in einen Befreiungskrieg gegen die deutsche Besetzung und das von ihnen eingesetzte Regime zog. Viele Mitstreiter waren schon in Haft, als Bocchetta sich im Austausch für Familienmitglieder, darunter seine Frau, verhaften ließ. So kam er schließlich mit Mitstreitern wie Guillermo Bravo und Teresio Olivelli nach Hersbruck.
Dazu passte das Lied "Bella Ciao". Dessen unbekannter Autor schrieb die bitteren Textzeilen vor mehr als 100 Jahren. Bekannt wurde es durch eben jenen Widerstand der italienischen "Resistenza". Es erfüllte an diesem Abend melancholisch den Kirchenraum, gesungen von Maria Mocchia und begleitet vom Akkordeon.
In seiner Lesung brachte Dekan Tobias Schäfer Gedanken zum Thema des Gottesdienstes, dem "Wachsam sein", zum Ausdruck. Gut hundert Mal Hersbruck – in heutigen Einwohnerzahlen gerechnet – wurden einst Todesopfer des Nationalsozialismus. Keiner, so Schäfer, könne sagen, "er hätte ja nicht wissen können, was passieren könnte". Eine eindringliche Warnung in Zeiten, in denen die breite Masse gefährlichen politischen Entwicklungen nur zusehe, anstatt ihnen mutig entgegenzutreten.
Dann erzählte er von einer Reise mit Jugendlichen nach Oswiecim, Auschwitz. Er traf dort einen Zeitzeugen und trotzdem sei es nicht zu fassen gewesen, dass sie hier am größten deutschen Vernichtungslager standen. Auf der anderen Seite gebe es auch ein modernes Auschwitz, mit Menschen, die tagtäglich an dem ehemaligen Lager vorbeigehen. Wie kann hier ein Einklang zwischen diesen beiden Welten stattfinden? Die Antwort darauf sei von der Gesellschaft neu zu definieren.
Ein Wunsch zum Schluss
Der Chor des Paul-Pfinzing-Gymnasiums sang "Von guten Mächten wunderbar geborgen" von Dietrich Bonhoeffer. Nach dem Gottesdienst schlossen sich viele dem Schweigeweg zur Skulptur "Ohne Namen" von Vittore Bocchetta im Rosengarten an. Wrensch und einige Schüler lasen dort Aussagen von Bocchetta vor. Als Wunsch blieb nur zurück, dass Hass und Gewalt keinen Platz finden mögen und die Menschen in Freiheit und Frieden leben können.
Copyright (c)2020 Verlag Nürnberger Presse, Ausgabe 30/01/2020